City Logistik: Lieferverkehre in nachhaltige Bahnen lenken
Wir haben ein Problem! Genauer gesagt, ein Verkehrsproblem, an dem man werktags in der Bielefelder Altstadt nicht mehr vorbeikommt. Bereits morgens reiht sich ein Lieferwagen an den anderen. Dabei haben sie alle das gleiche Ziel: die Haustüren der Anwohner*innen und Geschäfte.
Dass Wirtschaftsverkehre unverzichtbar für die Versorgung von Städten sind, steht außer Frage. Ebenso, dass der E-Commerce seit Jahren boomt. Was kann also die Lösung sein, um die Waren- und Güterströme effizient zu managen und so den Lieferverkehr langfristig nicht zum Erliegen zu bringen?
Einen Ansatz bietet in diesem Spannungsfeld das Thema City Logistik. Im Kern wird dabei versucht die Logistik auf der sogenannten „letzten Meile“ intelligent, vernetzt und nachhaltig zu gestalten. Wir haben dazu mit Olaf Lewald, Leiter im Amt für Verkehr der Stadt Bielefeld, gesprochen. Wir wollten herausfinden, welche Ideen und Ansätze es in Bielefeld gibt, um die Wirtschaftsverkehre zukünftig möglichst stadt- und umweltverträglich zu organisieren.
City Logistik – politisches Füllwort oder konkretes Konzept? Was verbirgt sich hinter diesem Begriff und welche Hoffnungen setzt die Stadt Bielefeld in das Konzept neuer, urbaner Lieferverkehre?
Lewald: Die Stadt Bielefeld hat in den letzten Jahren sehr intensiv am Thema Verkehrswende gearbeitet. In verschiedenen Projekten – vom SUMP (Sustainable Urban Mobility Plan), über Green City Masterplan bis hin zur Emissionsfreien Innenstadt – wurde eine gesamtstädtische Vision erarbeitet, wie die Mobilität der Zukunft in Bielefeld 2030 aussehen soll. Wohlgemerkt integriert über alle Verkehrsträger und unter Beteiligung aller relevanten Stakeholder. Auch mit dem politisch beschlossenen Ziel, den Umweltverbund – ÖPNV, Rad- und Fußverkehr – langfristig zu stärken. Damit haben wir auf der konzeptionell-strategischen Ebene Zielvorgaben, wie wir Verkehre in Bielefeld neu- bzw. umorganisieren wollen.
Dabei soll es aber nicht bleiben – ganz im Gegenteil. Die Arbeit fängt erst richtig an, wenn es in die Umsetzung geht. In diesem Kontext muss man nun auch das Thema City Logistik verorten.
City Logistik ist für uns ein Pilotprojekt, bei dem wir uns ganz dezidiert dem Thema Wirtschaftsverkehr „auf der letzten Meile“ widmen wollen. Wir sind uns dabei der großen Bedeutung von Lieferverkehren für den Handels- und Wirtschaftsstandort, aber auch für den privaten Bereich bewusst. Gleichzeitig sind die Probleme des steigenden Verkehrsaufkommens in Bielefeld offensichtlich, insbesondere im Innenstadtbereich. Hier gilt es also den Blick auch auf die Stadtentwicklung zu richten und das Ziel einer lebenswerten Stadt nicht aus den Augen zu verlieren. Mit dem Konzept zur City Logistik verfolgen wir nicht das Ziel, Lieferverkehre abzuwürgen – wir wollen sie aber stadt- und umweltverträglich umorganisieren. Das bedeutet von großen Lieferfahrzeugen auf kleine umverteilen.
In Bielefeld ist ein sogenannter Midi-Hub für die “letzte Meile” geplant. Was ist damit gemeint und wie könnte dieser konkret aussehen? Können Sie auch schon etwas über den Zeitplan sagen?
Lewald: Selbstverständlich muss es einen Ort geben, an dem die Reorganisation dieser Wirtschaftsverkehre konkret stattfinden kann. Für Bielefeld kommt dafür ein zentrumsnaher Warenumschlagsplatz in Frage, ein sogenannter Midi Hub. Midi spielt dabei auf die Größe und die Art des Umschlags an, nämlich Stückgut und Pakete (KEP) von Großfahrzeugen auf emissionsarme Kleinfahrzeuge umzuladen.
Die Analyse für Bielefeld hat ergeben, dass wir mit einer verkehrsgünstig gelegenen, wenige tausend Quadratmeter großen Fläche für den Pilotbetrieb starten können. Und mit Pilotbetrieb ist tatsächlich ein sehr niederschwelliges System gemeint. Es müssen nur eine bestimmte Anzahl von Containerstellplätzen vorgehalten werden. Die Pakete und Waren werden von dort aus auf Lastenräder oder Elektrofahrzeuge umgeladen und auf der letzten Meile im Innenstadtbereich ausgeliefert. Ein besonderer Clou soll dabei das integrierte Lastenfahrrad-Verleihsystem werden. Sowohl Privatleute als auch Gewerbetreibende können dabei den Einsatz von Lastenfahrrädern erproben. Der ideale Standort für dieses Vorhaben ist aus unserer Sicht der ehemalige Containerbahnhof, auf dem der Pilotbetrieb bis 2022 starten soll.
City Logistik wird oftmals auch als Paradigmenwechsel für urbane Lieferverkehre bezeichnet. Welche besonderen rechtlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen gilt es zu lösen? Und was sind die Chancen?
Lewald: Die Innenstadt wird in Zukunft umwelt- und stadtverträglich beliefert. Insofern kann man durchaus von einem Paradigmenwechsel sprechen, bei dem natürlich noch einige Herausforderungen zu lösen sind. Rechtliche Hürden sehen wir hier weniger. Ziel ist es, eine möglichst breite Akzeptanz für das Projekt zu schaffen. Dies hängt sicherlich davon ab, wie ein konkretes Betreibermodell später aussieht und wer sich in welcher Form daran beteiligt.
Berechtigterweise haben Logistikdienstleister genau darauf ein besonderes Augenmerk. Schließlich sind sie es, die die wirtschaftlichen und, vielleicht sogar noch wichtiger, die zeitlichen Prozesse im Blick haben müssen.
Logistikketten sind heute global und in komplexen Netzwerken organisiert, damit die Verfügbarkeit von Waren mit einer extrem hohen Sicherheit und Verlässlichkeit gewährleistet ist. Entsprechend haben wir alle als Bürger*innen und Konsument*innen in dieser Stadt auch sehr hohe Erwartungen daran – weil wir mittlerweile an eine „Rund-um-die-Uhr“-Verfügbarkeit gewöhnt sind.
Die Logistikunternehmen stehen daher unter hohem Erfolgsdruck, den Paradigmenwechsel zwischen emissionsarmem Verkehr, wirtschaftlichem Interesse und hoher Versorgungssicherheit mitzugehen. Es ist aber auch kein Geheimnis, dass sich viele Unternehmen längst auf den Weg gemacht haben, genau das in eigenen Projekten zu erproben. Nicht nur, weil es gesellschaftlich und politisch gefordert ist, sondern weil darin vielleicht auch eine wirtschaftliche Chance liegt.
Viele Bielefelder Unternehmen interessieren sich für das City Logistik-Projekt. Welche Möglichkeiten haben sie, sich daran zu beteiligen?
Lewald: Wir haben gerade im September den Auftrag an ein Projektkonsortium vergeben, dass sich aus einem Expertenbüro – LNC Consultants – und einem Forschungsinstitut – Fraunhofer IML, Dortmund – zusammensetzt. Neben der Fachexpertise als Auswahlkriterium war uns der Teilauftrag des sogenannten strukturierten Dialogs besonders wichtig. Damit ist gemeint, dass das Projektkonsortium alle Stakeholder – vom Einzelhandel in der Innenstadt über die Logistik- und Dienstleistungsbranche bis hin zu Verwaltung und Politik – in die Umsetzung einbindet.
Ziel ist es dadurch, einen möglichst breiten, interessenübergreifenden Konsens über die offenen Fragen zu erhalten. Wie regeln wir die Erreichbarkeit des Midi-Hubs? Wie groß ist das genaue Belieferungsgebiet? Welche Zeitfenster nutzen wir? Das sind nur einige Fragen, auf die der strukturierte Dialog, der im November startet, Antworten finden soll. Auch die WEGE wird daran teilnehmen und, da bin ich mir sicher, dafür Sorge tragen, dass Bielefelder Unternehmen, die ein berechtigtes Interesse haben, daran ebenfalls teilnehmen können.
Sie brauchen weitere Informationen oder möchten sich unverbindlich zu einer Informationsveranstaltung anmelden? Gerne hilft Ihnen Herr Campos Silva (E-Mail: campos.silva@wege-bielefeld.de oder telefonisch: 0521-557 660 62) weiter.